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[[Datei:Bundesarchiv Bild 146-1972-062-01, Berlin, bettelnder Kriegsinvalide.jpg|mini|Bettelnder Kriegsinvalide in Berlin, 1923]]
 
Nach dem Ende des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieges]] erschütterte der [[Friedensvertrag von Versailles|Vertrag von Versailles]] mit als zu hart empfundenen Reparationen und Gebietsverlusten viele Deutsche. Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Bettelei als einzige Existenzsicherung für verkrüppelte Heimkehrer aus dem [[Erster Weltkrieg#Waffentechnische Entwicklung|ersten industrialisierten Krieg]] ohne heutige medizinische Möglichkeiten ([[Prothetik]], [[Antibiotika]], [[Schmerzmittel]]), mit 14 Prozent die höchste [[Säuglingssterblichkeit]] in Europa, [[Rachitis]]-Epidemien durch Vitaminmangel und Attentate auf führende Politiker wie [[Matthias Erzberger]] und [[Walther Rathenau]], hervorgerufen durch Hasspredigten, prägten das politische Klima am Anfang der Zwanziger Jahre in Deutschland. Eine [[Deutsche Inflation 1914 bis 1923|seit 1914 zunehmende Inflation]] kulminierte in einer [[Hyperinflation]] im Jahr 1923. Putschversuche wie der [[Kapp-Putsch]] 1920 und der [[Hitlerputsch|Hitler-Ludendorff-Putsch]] 1923 sowie Niederschlagungen von Massenstreiks (1920: [[Ruhraufstand]] im [[Ruhrgebiet]], 1921: [[Märzkämpfe in Mitteldeutschland]]) mit Hilfe von [[Freikorps#Freikorps nachNach dem Ersten Weltkrieg (1918–1923)|Freikorps]] hinterließen Hunderte von Toten.
 
=== Besserungen ab 1924 ===
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=== Zusammenfassung ===
Insgesamt waren diese Jahre nur eine Phase der relativen, nicht der absoluten Stabilisierung. Nur zwei Regierungen dieser Zeit besaßen eine Mehrheit im Parlament, und die Koalitionen mit Mehrheit waren immer in der Gefahr zu zerbrechen. Keine Regierung überstand eine komplette Legislaturperiode. Ein weiteres Zeichen für die noch vorhandene Instabilität ist auch, dass weiterhin teilweise mit Hilfe eines Ermächtigungsgesetzes[[Ermächtigungsgesetz]]es regiert wurde. DieEs Parteienbestand fühltender Eindruck, dass sich viele Parteien zu oft weniger dem Allgemeinwohl als vielmehr dem Nutzen ihrer [[Klientel]] verpflichtet sahen oder demihrem eigenen Erfolgtaktischen verpflichtetVorteil. Die Weichen für die Wirtschaftskrise wurden in diesen Jahren gelegt, da es im Außenhandel ein Ungleichgewicht gab, welches durch kurzfristige Auslandkredite ausgeglichen wurde. Die Reparationszahlungen konnten nicht allein aus Steuergeldern finanziert werden, so dass die Kredite zunehmend nicht nur für den Aufschwung, sondern auch für die zu leistenden Zahlungen verwendet werden mussten. Als diese Kredite abgezogen wurden, kam es zum [[Deutsche Bankenkrise|Zusammenbruch der Wirtschaft]].
 
Zudem konnten die Arbeitslosenzahlen in der Republik nie unter eine Million gesenkt werden, was vor allem rechtsradikale Gruppierungen durch Propaganda gegen Arbeitslosigkeit und Schulden für sich zu nutzen versuchten.
 
== Berlin ==
[[Datei:Kaufhaus Wertheim, Leipziger Platz, 1920er Jahre.jpg|mini|Kaufhaus [[Wertheim-Konzern|Wertheim]] am [[Leipziger Platz (Berlin)|Leipziger Platz]] um 1930]]
In Berlin manifestierte sich das Lebensgefühl derjunger JungenLeute an der [[Gedächtniskirche (Berlin)|Gedächtniskirche]] und [[Kurfürstendamm]] und Tauentzienstraße, aber auch im WestenBereich der StadtFriedrichstraße. DortIm Westen entstanden am Ende der Stummfilmzeit die neuen Großkinos ''[[Marmorhaus]]'', ''[[Capitol am Zoo|Capitol]]'' und ''[[Ufa-Palast]]'' – noch mit siebzigköpfigem Symphonieorchester in braunen Samtjacken – und machten den ‚Floh-Kinos‘ Konkurrenz. Das gesetzte Alter spazierte [[Unter den Linden]], wo Klappstühle für fünf Pfennig aus der Allee eine Kurpromenade machten, so zum Beispiel [[Gerhart Hauptmann]], der häufig im [[Hotel Adlon]] wohnte, oder [[Gustav Stresemann]], der versonnen bei Spaziergängen mit seinem Stock im Sand grub. Der Straßenzug zwischen [[Nollendorfplatz]] und [[Olivaer Platz]] hingegen war Berliner Laufsteg für einen neuen Schick: Mit [[Erika Mann|Erika]] und [[Klaus Mann]] ein Tanz auf dem Vulkan. [[Max Reinhardt]] baute seine beiden eleganten Theater am Kurfürstendamm, eingerahmt von [[Tribüne (Theater)|Tribüne]] und [[Renaissance-Theater (Berlin)|Renaissance-Theater]].
 
Wer auf der Suche nach Prostituierten war, fand in Berlin reiche Auswahl: Am [[Wittenbergplatz]] standen die Dominas, deren rote oder giftgrüne Lacklederstiefel dem kundigen Freier signalisierten, welche sexuelle Spezialität ihre Trägerin offerierte. Kesse [[Tauentzienstraße|Tauentzien]]-Girls, gekleidet wie elegante Damen, bekannt für ihre freche Berliner Schnauze, traf man vor den Stundenhotels an der [[Chausseestraße]]. An der oberen [[Friedrichstraße]] warteten frierende minderjährige Mädchen in abgeschabten Mänteln auf Pädophile. Die unterste Kategorie des Rotlichtmilieus war in den mehr als 300 Bordellen und Stundenhotels allein rund um den [[Alexanderplatz]] anzutreffen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.geo.de/magazine/geo-epoche-kollektion/19744-rtkl-anita-berber-wie-suendig-das-berlin-der-zwanziger-jahre |titel=Anita Berber - wie sündig das Berlin der Zwanziger Jahre war |werk=GEO Epoche Nr. 27 |hrsg=Stern |datum=2007-08 |sprache=de |abruf=2023-01-06}}</ref>
[[Expressionismus|Expressionisten]] wie [[Ernst Toller]], [[Georg Kaiser]], [[Carl Sternheim]], [[Walter Hasenclever]] sorgten sowohl für Schreie auf der Bühne als auch für Schreie der Entrüstung und Begeisterung im Publikum. Die Bühnenbilder stammen von Avantgardisten wie [[Panos Aravantinos]] und [[Emil Pirchan]]. Der maßgebliche Berliner Kostümbildner und Couturier war [[William Budzinski]]. Der Berliner Broadway bot auch jede Menge Kleinkunst: Bars, Nachtclubs, Weindielen, russische Teestuben, neue Ballhäuser, wie das ''Ambassadeur'' oder die ''Barberina'' sowie die kleinere ''Königin'' oder das demimondäne ''Riorita'', in denen man nicht nur tanzen, sondern auch soupieren konnte. Neue Tänze wie der Charleston und der neue [[Jazz]] waren lange umstritten. Ehemalige Offiziere, nun arbeitslos, verdingten sich als [[Eintänzer]] (''Schöner Gigolo, armer Gigolo…'').
 
Die Boulevard- und Theaterwelt bot vielfältige Zerstreuung. [[Max Reinhardt]] baute seine beiden eleganten Theater am Kurfürstendamm, eingerahmt von [[Tribüne (Theater)|Tribüne]] und [[Renaissance-Theater (Berlin)|Renaissance-Theater]]. [[Expressionismus|Expressionisten]] wie [[Ernst Toller]], [[Georg Kaiser]], [[Carl Sternheim]], [[Walter Hasenclever]] sorgten sowohl für Schreie auf der Bühne als auch für Schreie der Entrüstung und Begeisterung im Publikum. Die Bühnenbilder stammen von Avantgardisten wie [[Panos Aravantinos]] und [[Emil Pirchan]]. Der maßgebliche Berliner Kostümbildner und Couturier war [[William Budzinski]]. Der Berliner Broadway bot auch jede Menge Kleinkunst: Bars, Nachtclubs, Weindielen, russische Teestuben, neue Ballhäuser, wie das ''Ambassadeur'' oder die ''Barberina'' sowie die kleinere ''Königin'' oder das demimondäne ''Riorita'', in denen man nicht nur tanzen, sondern auch soupieren konnte. Neue Tänze wie der Charleston und der neue [[Jazz]] waren lange umstritten. Ehemalige Offiziere, nun arbeitslos, verdingten sich als [[Eintänzer]] (''Schöner Gigolo, armer Gigolo…'').
 
Ferner waren der [[Alexanderplatz]] und der [[Potsdamer Platz]] Inbegriff der lebhaft pulsierenden Weltstadt Berlin. Viele der den Alexanderplatz begrenzenden Gebäude und Bahnbrücken trugen große Leuchtreklametafeln, die die Nacht zum Tag machten. Sein Gesicht änderte sich von Tag zu Tag.
 
Die [[Berliner Secession]] führtenführte einen impulsiven Diskurs um die Kunst, mit Protagonisten wie [[Lovis Corinth]], [[Max Liebermann]] und [[Ernst Oppler]].
 
== Gesellschaftliche Umwälzungen ==
[[Datei:Lesbiche - 1928 - D- Die freundin 1928.jpg|mini|[[Liste von Magazinen für homosexuelle Frauen|LesbeLesbenzeitschrift]]nzeitschrift „[[Die Freundin (Zeitschrift)|Die Freundin]]“ (1928)]]
Die bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aktive [[Frauenbewegung]] erfuhr durch die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen und ein sich wandelndes Frauenbild einen ungeahnten Aufschwung. Frauenbilder wie die [[neue Frau]] und der [[Flapper]] eröffneten jungen Frauen neue Perspektiven. 1926 wurde der § 218 StGB geändert: die Haftstrafen bei Schwangerschaftsabbruch wurden verkürzt, statt [[Zuchthaus]] drohte nun [[Gefängnis]].
 
== Emanzipation der Frau ==
Mit der Gründung der Weimarer Republik hatten sich auch neue Spielräume für die bereits seit den 1890er Jahren bestehende [[Geschichte der Homosexuellenbewegung|Homosexuellenbewegung]] eröffnet. Mit dem [[Bund für Menschenrecht]] und dem [[Deutscher Freundschaftsverband|Deutschen Freundschaftsverband]] gründeten sich erstmals Massenorganisationen für gleichgeschlechtlich liebende Menschen, die sich insbesondere dem Kampf gegen den [[§ 175]] widmeten. Die damit verbundenen Verlage publizierten zahlreiche Zeitschriften für "Freunde und Freundinnen", darunter [[Die Freundschaft (Zeitschrift)|Die Freundschaft]] mit einer Auflage von bis zu 40.000 Exemplaren sowie [[Der Eigene]] oder [[Das Freundschaftsblatt]] für homosexuelle Männer; [[Die Freundin]], [[Frauenliebe]] (mit Auflagen von 10.000 oder mehr) und [[Die BIF]] für Lesben und spezielle Titel wie [[Das dritte Geschlecht]] für „Transvestiten“. Neben dieser organisatorischen Infrastruktur existierten im Laufe der 1920er Jahre Hunderte von Lokalen für ein homosexuelles Publikum, darunter teils auch international bekannte Adressen wie das [[Eldorado (Berlin)|Eldorado]], das [[Kleist-Kasino]], der [[Toppkeller]] und das [[Dorian Gray (Diele)|Dorian Gray]]. Bedeutende Aktivisten und Aktivistinnen der Ära waren [[Adolf Brand]], [[Magnus Hirschfeld]], [[Johanna Elberskirchen]], [[Friedrich Radszuweit]], [[Lotte Hahm]], [[Carl Bergmann]], [[Selma Engler]] und [[Käthe Reinhardt]].
Die bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aktive [[Frauenbewegung]] erfuhr durch die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen (ein Beispiel ist die Tätigkeit als [[Stenotypist]]in) und ein sich wandelndes Frauenbild einen ungeahnten Aufschwung. Dies führte mit der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland im Jahr 1919 zu einer Teilhabe der Frauen am politischen Meinungsbildungsprozess. Die über die aufkommenden [[Illustrierte]]n und Zeitungsmagazine vermittelten Frauenbilder, wie die [[neue Frau]] und der [[Flapper]], eröffnetenzeigten jungenjunge Frauen in veränderten Rollen und eröffneten ihnen neue Perspektiven. Das offenere gesellschaftliche Klima zeigte sich auch in der Rechtsprechung. 1926 wurde der § 218 StGB geändert: die Haftstrafen bei Schwangerschaftsabbruch wurden verkürzt, statt [[Zuchthaus]] drohte nun [[Gefängnis]].
 
== Diverse Lebensführung ==
Mit der Gründung der [[Weimarer Republik]] hatten sich auch neue Spielräume für die bereits seit den 1890er Jahren bestehende [[Geschichte der Homosexuellenbewegung|Homosexuellenbewegung]] eröffnet. Mit dem [[Bund für Menschenrecht]] und dem [[Deutscher Freundschaftsverband|Deutschen Freundschaftsverband]] gründetenwaren sichauch erstmals Massenorganisationen für gleichgeschlechtlich liebende Menschen entstanden, die sich insbesondere dem Kampf gegen den [[§ 175]] widmeten. Die damit verbundenen Verlage publizierten zahlreiche Zeitschriften für "Freunde„Freunde und Freundinnen"Freundinnen“, darunter [[Die Freundschaft (Zeitschrift)|Die Freundschaft]] mit einer Auflage von bis zu 40.000 Exemplaren sowie [[Der Eigene]] oder [[Das Freundschaftsblatt]] für homosexuelle Männer; [[Die Freundin (Zeitschrift)|Die Freundin]], [[Frauenliebe]] (mit Auflagen von 10.000 oder mehr) und [[Die BIF]] für Lesben und spezielle Titel wie [[Anders als du und ich (§ 175)|Das dritte Geschlecht]] für „Transvestiten“. Eine Vorreiterrolle im neuen Diskurs über Sexualität nahm das Berliner [[Institut für Sexualwissenschaft]] ein. Neben dieser organisatorischen Infrastruktur existierten imin LaufeMetropolen derwie 1920erBerlin Jahreschon Hunderteseit vonBeginn Lokalendes 20. Jahrhunderts zahlreiche Lokale für ein homosexuellesdiversen Lebensentwürfen zugeneigtes Publikum, darunter teils auch international bekannte Adressen wie das [[Eldorado (Berlin)|Eldorado]], das [[Kleist-Kasino]], der [[Toppkeller]] und das [[Dorian Gray (Diele)|Dorian Gray]]. Bedeutende Aktivisten und Aktivistinnen der Ära waren [[Adolf Brand]], [[Magnus Hirschfeld]], [[Johanna Elberskirchen]], [[Friedrich Radszuweit]], [[Lotte Hahm]], [[Carl Bergmann (Verleger)|Carl Bergmann]], [[Selma Engler]] und [[Käthe Reinhardt]].
 
== Kunst ==
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Sie entstand aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges und des anschließenden gesellschaftlichen Wandels. Viele Künstler zeigten sich engagiert und politisch interessiert. Die Kunst befreite sich ein weiteres Stück aus akademischen Zwängen. Man zeigte weniger Scham. Neue Themen waren das Leben in der Großstadt, die Kluft zwischen Arm und Reich, die neue selbstbewusste Frau. Das Porträt wurde zum wichtigen Genre. Ein Beispiel: Das „[[Großstadt (Otto Dix)|Großstadt]]-Triptychon“ von [[Otto Dix]] stellt unter anderem Prostituierte dar, in teils freizügiger Pose. Ein solches Motiv wäre im Kaiserreich noch undenkbar gewesen.
Berühmte Künstler sind:
 
* [[Max Beckmann]] („[[Christus und die Sünderin]]“)
* [[Otto Dix]] („[[Großstadt (Otto Dix)|Großstadt]]-Triptychon“)
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* [[Georg Kolbe]] („Autonome Aktfigur“)
* [[Jeanne Mammen]] („Zimmer frei“)
* [[Christian Schad]] („[[SelbstbildnisSonja mit Modell(Gemälde)|Sonja]]“)
 
== Mode ==
[[Datei:Joancrawford3.jpg|mini|[[Joan Crawford]] im typischen [[Flapper]]-Look]]
* Damenmode: Bei den Accessoires kam es nicht auf den Wert, sondern auf die schockierende Wirkung an. Deshalb war die „endlose“ [[Zigarettenspitze]] sehr beliebt. Sie gab den Damen einen leicht mondänen Anstrich. Zur Aufmachung für den Abend gehörten auch [[Perlmutt|Perlenketten]], [[Boa (Schal)|Boas]], [[Stirnband|Stirnbänder]] und [[Handtasche]]n. Die Frisuren der Damen wirkten auf viele aggressiv. Der [[Bubikopf (Frisur)|Bubikopf]] löste gegen hartnäckigen Widerstand der Elterngeneration die [[Zopf#Festgesteckte Flechtzöpfe|Schnecken]] mit Haarnadeln ab.
* Herrenmode: 1919 sah man die Männer noch im [[Gehrock]] mit [[Zylinder (Hut)|Zylinder]]. Die Herrenmode in den 1920ern war klassisch, dunkel und korrekt. Zu Beginn des Jahrhunderts war die Form des Sakkos recht breit (mit gepolsterten Schultern). Die Brust war verstärkt, um der männlichen Silhouette einen muskulöseren Eindruck zu verleihen. Im Laufe des Jahrhunderts wurde diese Jackenform leger, leicht tailliert und weniger gepolstert. Der [[Stresemann (Anzug)|Tagesanzug]] geht auf den Namen des deutschen [[Reichskanzler]]s [[Gustav Stresemann]] zurück und wird heute noch zu Festlichkeiten getragen. Die Frisuren der Herren waren streng nach hinten gekämmt, häufig mit [[Scheitel|Seitenscheitel]]. Die Schuhe wurden leicht und ließen die Stiefel des Weltkrieges hinter sich. Auch der Stil dieses in einer Fachzeitschrift für chauffeur-lose Selbstfahrer („Herrenfahrer“) 1924 erschienenen Herrenmodeartikels atmet den Aufbruch der Goldenen Zwanziger:
 
{{Zitat
|Text= Jeder mehrfarbige Schuh ist unfein, wenn nicht als Strand- oder Vormittagsschuh. Der Halbschuh beherrscht alles. Stiefel werden wenig getragen. Der schwarze Boxcalf- oder Chevreaux-Schuh kann gelochte Muster haben. Die Kappe kann sogar das Monogramm tragen. Lange, platt abgerundete Spitze. Die beste Bezeichnung für die Form ist: wenn die Schuhe vor dir stehen, darfst du nicht sehen, welches der rechte und welches der linke Schuh ist. Der braune Schuh ist im Winter, wenn überhaupt braune Schuhe getragen werden müssen, aus schwerem Leder. Der braune Schuh mit Gummisohle ohne Absatz ist schon wieder aus der Mode. Höchstens als Golfschuh noch führend. Als Smoking- und Abendschuh ein kappenloser Lackschuh, völlig flach und ohne Verzierung.
|Quelle= Der Herrenfahrer – das Blatt vom Auto und anderen Annehmlichkeiten des Lebens, Heft 1, 1924
|ref=<ref>Aus [[Der Herrenfahrer]], Heft 1, 1924, Seite 51, [http://d-nb.info/026712962 Deutsche Nationalbibliothek]</ref>}}
* Mode allgemein: Neue erfundene Stoffe (z. B. synthetische Fasern) ließen Seidenstrümpfe geschmeidig und weicher werden. Die Friseure hatten sonntags offen. Die Männer trugen [[Knickerbocker]] und [[Schiebermütze]]n. Ähnlich elegant waren die so genannten [[Topfhut|Topfhüte]] der Frauen.
 
== Tanz ==
Nachdem zum Jahresende 1918 das weltkriegsbedingte Tanzverbot in Deutschland aufgehoben worden war, wurde das Tanzvergnügen gesucht, auch um dem tristen Alltag zu entgehen. Das [[Berliner Tageblatt]] schrieb Anfang 1919 treffend: „Wie ein Rudel hungriger Wölfe stürzt sich das Volk auf die lang entbehrte Lust. Noch nie ist so viel, so rasend getanzt worden.“<ref>https://www.zeitklicks.de/weimarer-republik/kultur/musik-und-tanz/tanzbegeisterung-charleston. Abgerufen am 25. April 2024</ref>
 
In den Städten, vor allem in Berlin, entstanden Tanzbars, auf dem Land traf man sich in Vereinslokalen. Neben [[Europäischer Tango|Tango]] und [[Walzer (Tanz)|Walzer]] waren es vor allem die ''wilden Tänze'' aus Amerika, die rasch in Deutschland populär wurden. Modetänze jener Zeit waren der [[Charleston (Tanz)|Charleston]], der [[Shimmy (Tanz)|Shimmy]], bei dem Hüften und Po wie wild geschüttelt wurden und der [[Black Bottom]], bei dem das Becken vor- und zurückgeschwungen werden musste. Vor allem die US-amerikanische Tänzerin [[Josephine Baker]] war es, die den besonders beliebten Charleston ab 1925 nach Europa brachte. Dabei trug die tanzende Dame eine Garderobe, die vielerorts als schockierend empfunden wurde: „Kleider, die nicht mehr imstande sind, die Blöße zu bedecken.“ Dies machte die Tanzwut um so suspekter.
{{Zitat
|Text=[...] Bilder von modernen Tanzlustbarkeiten [...], über die jeder halbwegs anständige Mensch nur Ekel empfinden muss. Die Dämchen in Kleidern, die mit Recht als ''Dirnenkostüme'' bezeichnet werden müssen, die Herren allerdings meist im elegantesten Frackanzuge, aber mit vollständig blasierten und geistlosen oder stumpfsinnigen Gesichtern, aus denen nichts weiter als moralischer Tiefstand zu ersehen ist. Dazu beide Geschlechter oft in Stellungen, die an Schamlosigkeit nicht zu wünschen übrig lassen. So erfordert es eine Anzahl der sogenannten ''modernen'' Tänze.
|Autor=Hanna Vollmer-Heitmann
|Quelle=Tanzwut in den Goldenen Zwanzigern.
|ref=<ref>Aus Musikalische Komödie Leipzig: ''Programmheft zu Mein Freund Bunbury'', Musical von Gerd Natschinski, Leipzig 2007, S. 10 f.</ref>
}}
 
Zugleich waren die 1920er Jahre die Zeit der großen Revuen, bei denen Tanzeinlagen leicht bekleideter, im Gleichtakt die Beine schwenkender Girl-Truppen nicht fehlen durften. Stars dieser Girlkultur waren die [[Tiller-Girls]] aus London, die 1924 mit einer Mammut-Show nach Berlin kamen und das Publikum im Sturm eroberten. Diese Girlkultur hatte nicht den individuellen Ausdruck wie beim Charleston, sie basierte vielmehr auf völlig synchronen Bewegungen der Tänzerinnen. Die Uniformität von Kleidung und Bewegung hatte hier gleichsam etwas Militärisches an sich, was ihrem Erfolg aber keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: Die stramme Disziplin, die hier sichtbar wurde, erinnerte an den zur damaligen Zeit durchaus noch lebendigen Untertanengeist der Kaiserzeit.
 
== Sport ==
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Deutschland produzierte in den 1920er und 1930er Jahren mehr Filme als alle anderen europäischen Staaten zusammen. Der deutsche Film brachte einige große Regisseure mit bedeutenden Produktionen hervor, wie zum Beispiel „[[Das Cabinet des Dr. Caligari|Das Kabinett des Dr. Caligari]]“ (1919/1920) von [[Robert Wiene]]. Der Rhythmus choreographierter Massenszenen bestimmte [[Fritz Lang|Langs]] 1927 uraufgeführten Stummfilm „[[Metropolis (Film)|Metropolis]]“. Das millionenteure Spektakel erwies sich an den Kassen jedoch als Misserfolg. Längst hatte die Filmfabrik [[Hollywood]] die deutschen Kinos erobert und setzt 1927 mit dem ersten [[Tonfilm]] neue Maßstäbe.
 
Die Film- und Kinomusik ist genauso alt wie die bewegten Bilder in Film und Kino. Bereits in der Frühzeit des Films waren öffentliche Vorführungen mit musikalischer Begleitung üblich. SogarFür die Epoche des Stummfilms wurdewar vondie vom Kino-Pianisten live dargebotene Klaviermusik begleitetprägend, die das Geschehen auf der Leinwand untermalte. In den Anfängen diente die Klaviermusik eherauch dazu die Projektorengeräusche zu übertönen.
 
=== Rundfunk ===
Der [[Hörfunk]] wuchs zum neuen Massenmedium heran. Hochwertige Empfänger waren kostspielig, andererseits waren auch [[Detektorempfänger]] beliebt, einfache „Bastelradios“ zum Selbstbau. [[Telefunken]] brachte preiswerte [[Kopfhörer]] heraus, die bei Bedarf zu kleinen Lautsprechern auseinandergeschraubt werden konnten.
Radioapparate, die noch [[Detektorempfänger|Detektoren]] genannt wurden, besaßen nur wenige Familien und wurden aus Kostengründen häufig selbst zusammengebaut. [[Telefunken]] baute preiswerte [[Kopfhörer]], die bei Besuch noch auseinander geschraubt wurden, damit jeder mithören konnte. [[Richard Tauber]] war der Starinterpret einer im Rundfunk übertragenen [[Operette]]. Musiksendungen, [[Autorenlesung]]en und [[Hörspiel]]e erfreuten sich großer Beliebtheit, politische Sendungen waren hingegen weitgehend tabu.
 
Radioapparate, die noch [[Detektorempfänger|Detektoren]] genannt wurden, besaßen nur wenige Familien und wurden aus Kostengründen häufig selbst zusammengebaut. [[Telefunken]] baute preiswerte [[Kopfhörer]], die bei Besuch noch auseinander geschraubt wurden, damit jeder mithören konnte. [[Richard Tauber]] war der Starinterpret einer im Rundfunk übertragenen [[Operette]]. Musiksendungen, [[Autorenlesung]]en und [[Hörspiel]]e erfreuten sich großer Beliebtheit, politische Sendungen waren hingegen weitgehend tabu.
 
== Filme ==
* ''Die wilden Zwanziger.'' Dokumentarfilm, von Stefanie Appel (Arte, 2015).
** Teil 1: Berlin und Tucholsky<ref> {{Webarchiv|text=DieToter wilden Zwanziger (1/3)Link |url=http://www.arteyoutube.tvcom/guide/de/050794-000/die-wilden-zwanziger-1-3watch?v=uRtp5g2OKgk |waybackdate=201504272107412024-02-25 |archiv-bot=20182024-0402-1225 1607:3646:15 InternetArchiveBot54 TabellenBot}}</ref>
** Teil 2: Paris. Ein Fest fürs Leben<ref> {{WebarchivYouTube |textuploader=SchöneDokusHD |id=AQ98HBtPzeM |titel=(Doku) Die wilden Zwanziger (2/3) Paris - Ein Fest fürs Leben (HD) |urlupload=http://www.arte.tv/guide/de/0516152017-000/die-wilden03-zwanziger-2-305 |waybackabruf=20150504070805 |archiv2024-bot=201802-04-1225 16|laufzeit=52:36:15 InternetArchiveBot54 min}}</ref>
** Teil 3: Wien. Ein Tanz am Abgrund<ref> {{WebarchivYouTube |textuploader=SchöneDokusHD |id=aRCPCF9h-qs |titel=(Doku) Die wilden Zwanziger (3/3) Wien - Ein Tanz am Abgrund (HD) |urlupload=http://www.arte.tv/guide/de/0507962017-000/die-wilden03-zwanziger-3-305 |waybackabruf=20150427210747 |archiv2024-bot=201802-04-1225 16|laufzeit=52:36:15 InternetArchiveBot57 min}}</ref>
* [[Babylon Berlin]]
* ''Die Zwanziger – Das Jahrzehnt der Frauen.'' Dokumentarfilm, Teil 1/2: ''Kunst und Karriere.'' Teil 2/2: ''Alltag und Exzess'', jeweils 53 Minuten, Regie: André Meier, RBB/MDR, Deutschland, 2020
 
== Literatur ==
* ''Berlin – Die Zwanzigerjahre – Kunst und Kultur 1918–1933'', Text: [[Rainer Metzger]], Bildauswahl: Christian Brandstätter, dtv, München 2006, ISBN 978-3-423-34407-4.
* [[Michael Bienert]], Elke Linda Buchholz: ''Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt.'' Berlin-Story-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-929829-28-2.
* Georg Eckert: ''Die Zwanziger Jahre. Das Jahrzehnt der Moderne''. Aschendorff, Münster 2020, ISBN 978-3-402-24632-0.
* [[Steffen Raßloff]]: ''Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik.'' Sutton Verlag, Erfurt 2008, ISBN 978-3-86680-338-1.
* [[Eberhard Kolb]], [[Dirk Schumann (Historiker)|Dirk Schumann]]: ''Die Weimarer Republik''. 8., aktualisierte und erweiterte Auflage 2012, Oldenbourg, ISBN 978-3-486-71267-4. Darin Kap. 3 (S. 95–111): „Künstlerische Avantgarde und Massenkultur. Zur Physiognomie der ‚goldenen zwanziger Jahre‘“ (auch in: Eberhard Kolb, ''Deutschland 1918–1933: Eine Geschichte der Weimarer Republik'', Oldenbourg 2010, [http://books.google.de/books?id=4H1eHIed6JoC&pg=PA137&lpg=PA137&dq=%22Eberhard+Kolb%22+%22R%C3%BCckblicken+auf+Weimar%22&source=bl&ots=RYhJeMFPnY&sig=GJL0IuDImZcFchbxAbH6nfMcKSo&hl=de&sa=X&ei=7v2bU5vyJ6rG7Aax84CYCg&ved=0CCIQ6AEwAA#v=onepage&q=%22Eberhard%20Kolb%22%20%22R%C3%BCckblicken%20auf%20Weimar%22&f=false S. 137–160]).
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[[Kategorie:Wirtschaftsboom]]
[[Kategorie:1920er]]
[[Kategorie:Historischer Zeitraum]]
 
[[nl:Roaring Twenties]]