Hinterbänkler

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Sitzebänke von Regierungsfraktion und Opposition im Britischen Unterhaus (1851)

Als Hinterbänkler (engl. backbencher) werden Abgeordnete bezeichnet, die innerhalb des Parlaments weniger herausgehobene oder keine Funktionen besitzen. Solche Abgeordneten sitzen „auf den hinteren Bänken“ bzw. in den hinteren Reihen. Der Begriff wurde abgeleitet von der Sitzordnung des Britischen Unterhauses, das bis heute mit Bänken (engl. benches) ausgestattet ist: Auf den jeweils vorderen Bänken sitzen sich die Regierungsmitglieder und das Schattenkabinett der Opposition gegenüber, die Vorderbänkler (engl. frontbencher); jeweils dahinter, also „auf den hinteren Bänken“, sitzen die übrigen, weniger bedeutenden Parlamentarier. Im übertragenen Sinne hat der Begriff eine negative Konnotation.[1]

Situation in Deutschland

Der abfällige Beiklang des Begriffs „Hinterbänkler“ für Abgeordnete ohne Funktion (Fraktionsvorsitzender, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Ausschussvorsitzender, Fachsprecher, Parlamenstpräsident, stellvertretender Parlamentspräsident, Schriftführer im Präsidium eines Parlaments) übersieht häufig, dass die Hauptarbeit eines Parlamentariers nicht bei Plenardebatten geleistet wird, sondern bei der Sacharbeit in den Gremien, die teilweise nicht öffentlich tagen und deswegen im Regelfall keine öffentliche Aufmerksamkeit erzielen.

Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter definierte in einem Handbuchartikel noch im Jahr 1970 den Typus des „Hinterbänklers“ wie folgt:

„[…] Es empfiehlt sich also, nur solche Abgeordnete als Hinterbänkler zu bezeichnen, die in der Regel keinen positiven Beitrag zur Willensbildung der Fraktion oder des Parlaments leisten, keine oder allenfalls bescheidene Aufgaben in der Parlamenstarbeit übernehmen und höchstens zu untergeordneten und meist lokalen Fragen Stellung nehmen. […] Die Position des Hinterbänklers ist nicht systembedingt, sie wird freiwillig bezogen. Sie resultiert aus einer eingeengten Auffassung von den Aufgaben und Pflichten eines Mandats.“

Oberreuter verkennt dabei, dass es grundsätzlich weniger zu besetzende Funktionen in einem Parlament gibt als Abgeordnete und zugleich die Ansprüche an Funktionen gebunden sind an die jeweilige Stärke einer Fraktion; eine große Fraktion hat logischerweise mehr „Hinterbänkler“ als eine kleine Fraktion, wenn zugleich die parlamentarischen Gepflogenheiten besagen, dass beispielsweise jede im Parlament vertretene Fraktion jeweils einen Vizepräsidenten stellt. Insofern ist die Position eines „Hinterbänklers“ selten freiwillig gewählt, sondern ergibt sich aus dem Wahlergebnis und der Geschäftsordnung eines Parlaments. „Hinterbänkler“ sind häufig Fachleute für bestimmte Themen, die sich auf die Arbeit in den Arbeitskreisen ihrer Fraktion und zusätzlich den Fachausschüssen ihrer jeweiligen Partei sowie in den Parlamentsausschussen konzentrieren und deswegen zu unrecht als „unwichtig“ angesehen werden.

Deutscher Bundestag

Im Deutschen Bundestag wird die Hierarchie im Plenarsaal dadurch verdeutlicht, dass nur die Abgeordneten in den vorderen Sitzreihen eigene Tische, unter anderem mit Telefonen, an ihren Plätzen haben. Dort sitzen stets die Fraktionsvorsitzenden. Die „Hinterbänkler“ verfügen jedoch über dieselben Pflichten und Rechte wie alle anderen Abgeordneten.

Seit 1986 gibt es im Deutschen Bundestag, im Gegensatz zu anderen Parlamenten, keine festen Plätze mehr im Plenarsaal. Vor dem Umzug ins Bonner Wasserwerk in diesem Jahr hatten jedoch auch die hinteren Plätze Tische. Ein Abgeordneter kann also seinen Sitzplatz innerhalb des Sitzplatzsegments seiner Fraktion frei wählen: Bei Debatten über komplexe Themen, an denen nur die Spezialisten der jeweiligen Fraktionen teilnehmen, sitzen diese dann auch in den vorderen Reihen. Insofern ist der Begriff des „Hinterbänklers“ im Zusammenhang mit dem Deutschen Bundestag nur im übertragenen Sinne zu verwenden.

Zeitweilig zählten mehr als 100 Abgeordnete des rechten Flügels der SPD-Fraktion (die im Parteijargon als „ Kanalarbeiter“ bezeichnet wurden) zu den „Hinterbänklern“.[2]

Hamburgische Bürgerschaft

In der 18. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft erreichte die CDU-Fraktion bei der Wahl 2004 mit 63 Mandaten ihre bislang größte Stärke. Dabei zogen 32 Abgeordnete erstmals ins Landesparlament ein. Da die Anzahl an möglichen Funktionen innerhalb des Parlaments nicht proportional mit der Stärke einer Fraktion wächst (siehe oben), bestand die CDU-Fraktion in dieser Wahlperiode mehrheitlich aus „Hinterbänklern“. Mehrere Abgeordnete konnten aufgrund dieser Situation während der gesamten Wahlperiode nicht einmal eine Rede im Plenum halten (Dietrich Hoth und Herbert Winter, vgl. Plenarprotokolle der Parlamentsdatenbank).

Situation in der Schweiz

Im Gegensatz dazu sitzen im Schweizer Nationalrat gerade die bedeutenden Politiker in den hinteren Reihen, damit sie das Geschehen im Saal besser überblicken und einen möglichst kurzen Weg von der Wandelhalle zu ihrem Sitzplatz haben.[3]

Literatur

  • Gruber, Andreas K.: Der Weg nach ganz oben. Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker. Neuwied (Verlag für Sozialwissenschaften): 2009. Seite 178.
  • Oberreuter, Heinrich: „Hinterbänkler“. In: Hans-Helmuth Röhring/Kurt Sontheimer (Hrsg.): Handbuch des deutschen Parlamentarismus. München (Piper): 1970. Seiten 194-197.

Einzelnachweise

  1. [http://www.duden.de/rechtschreibung/Hinterbaenkler Bedeutungsübersicht] zum Begriff „Hinterbänkler“ im Duden: „(bildungssprachlich abwertend) Abgeordneter, der im Parlament nicht hervortritt, nicht viel Einfluss hat“
  2. Walter Henkels: Lokaltermin in Bonn. Pabel-Moewig Verlag, Rastatt 1987, ISBN 3-811-84859-3, S. 147.
  3. Schweizer Nationalrat: „Alle Nationalräte wären gern Hinterbänkler“ (Memento vom 23. Mai 2010 im Internet Archive) Artikel auf tagesanzeiger.ch, 18. November 2007.