Terzine

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Die Terzine ist eine aus beliebig vielen Strophen bestehende Gedichtform italienischer Herkunft. Jede Terzinen-Strophe besteht aus drei Versen. In Terzine steckt das italienische Wort terzo „dritter“, womit auf das strukturierende Prinzip dieser Gedichtform verwiesen ist.

Dante Alighieri, Erfinder der Terzine

Form

Der in der Terzine verwendete Vers ist der Endecasillabo. Eine Terzinen-Strophe besteht aus drei solcher Verse und hat die Reimstruktur [aba]. Der innerhalb der ersten Strophe reimlose zweite Vers findet seine Reimentsprechung erst in der zweiten Strophe, deren Reimschema [bcb] lautet, und nach diesem Muster reimen dann alle weiteren Strophen: [cdc, ede, … yzy, z] - die letzten vier Verse kann man als eine vierzeilige Strophe mit Kreuzreim oder aber als reguläre Terzinen-Strophe mit anschließendem Schlussvers verstehen. Da jeweils ein Reim erst in der Folgestrophe fortgesetzt wird, entwickelt sich eine innere Dynamik. Es gibt es keine vorgegebene Strophenzahl; die Terzine zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer weiter fließt und erst durch den Schlussvers zur Ruhe kommt.

Im Deutschen wird als Vers der jambische Fünfheber verwendet. Im Gegensatz zum italienischen Vorbild können die Versausgänge sowohl weiblich-unbetont als auch männlich-betont sein; zumeist wird aber die ursprüngliche Form verwendet, also nur weiblich-unbetont schließende Verse.

Beispiel

Von Hugo von Hoffmannsthal stammt eine Gruppe von vier Gedichten in Terzinen, deren zweites so lautet:

1 Die Stund! wo wir auf das helle Blauen A Blauen
2 Des Meeres starren und den Tod verstehn, B Verstehn
3 So leicht und feierlich und ohne Grauen, A Grauen
4 Wie kleine Mädchen, die sehr blaß aussehn, B aussehn
5 Mit großen Augen, und die immer frieren, C frieren
7 An einem Abend stumm vor sich hinsehn B hinsehn
7 Und wissen, daß das Leben jetzt aus ihren C ihren
8 Schlaftrunknen Gliedern still hinüberfließt D hinüberfließt
9 In Bäum und Gras, und sich matt lächelnd zieren C zieren
Schlussvers:
10 Wie eine Heilige, die ihr Blut vergießt. D vergießt

Literaturhistorische Entwicklung

Die Ursprünge der Terzine sind in der Forschung heute umstritten. Als Erfinder der Form gilt Dante Alighieri, jedoch ist dies nicht klar belegt. Die Commedia sei also das erste Werk, das aus Terzinen besteht. Doch auch italienische Humanisten prägten die Gedichtform im 14. Jahrhundert maßgeblich, so beispielsweise Francesco Petrarca oder auch Giovanni Boccaccio. Die Terzine hat im Humanismus vor allem didaktische Absichten, sie tadelt oder lobt. Sie wird jedoch auch als Satire praktiziert. Im Italien verschwindet die Form dann aber fast gänzlich und wird erst im 19. Jahrhundert durch Giovanni Pascoli und Gabriele D’Annunzio wiederbelebt.

Deutschsprachige Vertreter

Erste Nachahmungen der Terzine gab es im 17. Jahrhundert durch Martin Opitz und Hans Aßmann Freiherr von Abschatz, eigentlich in Gebrauch kam sie aber erst im Zuge der Dante-Rezeption der Romantik und wurde danach in verschiedener Weise verwendet, unter anderem auch im Drama (ein Beispiel findet sich in August von Platens Der romantische Ödipus). Johann Wolfgang Goethe, der der Form erst skeptisch gegenüberstand, schrieb 1826 Bei Betrachtung von Schillers Schädel und gab damit das Vorbild für zahlreiche andere nachdenkliche Betrachtungen in Terzinenform. Eine andere inhaltliche Linie begann mit Adelbert von Chamisso, nach dessen Vorbild die Terzine für Balladen und poetische Erzählungen genutzt wurde. Auch für Widmungs- und Festgedichte wurde häufig die Terzinenform gewählt. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die Terzine von Theodor Fontane und Gottfried Keller weiter beeinflusst, bevor sie im Kontext des Fin-De-Siècle unter anderem von Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke aufgegriffen wurde.

Internationale Vertreter

Die Terzine ist auch in den anderen europäischen Nationalliteraturen nachgebildet worden, so etwa von John Milton, Lord Byron, William Carlos Williams, T. S. Eliot, Juan Boscán, Garcilaso de la Vega, Andrés Fernández de Andrada, Stéphane Mallarmé.

Weitere Beispiele

Dante Aligheri, La divina comedia, Beginn[1]:

Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura
ché la diritta via era smarrita.

Ahi quanto a dir qual era è cosa dura
esta selva selvaggia e aspra e forte
che nel pensier rinova la paura!

Tant'è amara che poco è più morte;
ma per trattar del ben ch'i' vi trovai,
dirò de l'altre cose ch'i' v'ho scorte.

Io non so ben ridir com'i' v'intrai,
tant'era pien di sonno a quel punto
che la verace via abbandonai.


Percey Shelley, Ode to the West Wind (I)[2]:

O wild West Wind, thou breath of Autumn’s being,
Thou, from whose unseen presence the leaves dead
Are driven, like ghosts from an enchanter fleeing,

Yellow, and black, and pale, and hectic red,
Pestilence-stricken multitudes: O thou,
Who chariotest to their dark wintery bed

The winged seeds, where they lie cold and low,
Each like a corpse within its grave, until
Thine azure sister of the Spring shall blow

Her clarion o'er the dreaming earth, and fill
(Driving sweet buds like flocks to feed in air)
With living hues and odours plain and hill:

Wild Spirit, which art moving everywhere;
Destroyer and preserver; hear, oh, hear!


Johann Wolfgang Goethe, Bei Betrachtung von Schillers Schädel, V1-V9[3]:

Im ernsten Beinhaus war’s, wo ich beschaute
Wie Schädel Schädeln angeordnet passten;
Die alte Zeit gedacht’ ich, die ergraute.

Sie stehn in Reih’ geklemmt’ die sonst sich hassten,
Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten.

Entrenkte Schulterblätter! was sie trugen
Fragt niemand mehr, und zierlich tät'ge Glieder,
Die Hand, der Fuß, zerstreut aus Lebensfugen.

Literatur

  • Horst Joachim Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen. Hanser, München & Wien 1980, S. 64–69.
  • Bernheim, Roger: Die Terzine in der deutschen Dichtung von Goethe bis Hofmannsthal. Düsseldorf 1954.
  • Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse, Stuttgart 1995, S. 104–106.
  • Leuschner, Pia-Elisabeth: Terzine. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3. Hrsg. von Jan-Dirk Müller u. a. Berlin, Berlin und New York 2003, S. 590–592.
  • Knörrich, Otto: Lexikon lyrischer Formen, zweite überarbeitete Auflage, Stuttgart 2005, S. 235–237.

Einzelnachweise

  1. Dante Alighieri: La divina comeddia. Abgerufen am 19. Dezember 2016 (italienisch).
  2. Percy Shelley: Ode to the west wind. Abgerufen am 19. Dezember 2016 (englisch).
  3. Johann Wolfgang von Goethe: Bei Betrachtung von Schillers Schädel. Abgerufen am 19. Dezember 2016.