Gundolf Köhler

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Gundolf Wilfried Köhler (* 27. August 1959 in Schwenningen am Neckar; † 26. September 1980 in München) war ein rechtsextremer Student aus Donaueschingen. Ihm wird das Oktoberfestattentat von 1980 zur Last gelegt. Laut den Ermittlungsbehörden hat er das Attentat aus persönlichen Motiven allein geplant und durchgeführt. Diese Darstellung wurde und wird vielfach angezweifelt, unter anderem wegen erwiesener Verbindungen Köhlers zu rechtsextremistischen Organisationen. Nach Aktenfunden 2008 und Bekanntwerden neuer Zeugenaussagen sah sich der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gezwungen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.[1][2]

Leben

Köhler wuchs in Donaueschingen auf. Als 14-Jähriger nahm er an Veranstaltungen der NPD teil und sammelte Abzeichen, Bücher und Bilder aus der Zeit des Nationalsozialismus. Über seinem Bett hing jahrelang ein Bild Adolf Hitlers. Er erwarb einen Stahlhelm, Soldatenstiefel und übte in einem Schießsportverein an der Waffe.[3] Bei einer späteren Hausdurchsuchung am 7. Oktober 1980 fand die Polizei einen Mitgliedsausweis der Wiking-Jugend. Ab 1975 hatte Köhler laut Aussage seiner Mutter einen „Militärtick“. Er nahm zur Wehrsportgruppe Hoffmann Kontakt auf und experimentierte im Keller mit Chemikalien. 1975 verletzte ein explodierendes Gemisch sein Gesicht.

Köhler absolvierte sein Abitur 1978 am Fürstenberg-Gymnasium Donaueschingen. Kurz danach verpflichtete er sich für zwei Jahre als Zeitsoldat bei der Bundeswehr und trat seinen Dienst beim Panzergrenadierbataillon 292 in Immendingen an. Seinem Wunsch, als Feuerwerker oder Waffen-, Raketen- und Munitionstechniker eingesetzt zu werden, wurde nicht entsprochen, so dass er sich im Juli 1978 innerlich enttäuscht von der Bundeswehr abwandte. Im November 1978 wurde er aufgrund einer Taubheit, die wahrscheinlich simuliert war, entlassen.

Ab dem 1. April 1979 studierte Köhler an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Geologie. Ab März 1979 nahm er sporadisch an Veranstaltungen des rechtsextremen Hochschulrings Tübinger Studenten teil, dessen führendes Mitglied Axel Heinzmann er bereits aus mindestens zwei vorausgegangenen Ereignissen kannte. So folgte er 1976 einer Einladung Heinzmanns nach Tübingen, wo er am 4. Dezember 1976 Zeuge der Massenschlägerei zwischen Anhängern der Wehrsportgruppe Hoffmann und Gegendemonstranten wurde. 1977 kam Heinzmann nach Donaueschingen, wo Köhler ihn im Rahmen einer Flugblattaktion traf.

Oktoberfestattentat

Gundolf Köhler wird das Oktoberfestattentat, der Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest am Freitag, dem 26. September 1980, zur Last gelegt.[4] Dabei wurden durch eine Bombe, die um 22.19 Uhr am Eingang zur Wirtsbudenstraße der Theresienwiese detonierte, 13 Menschen – darunter Köhler selbst – getötet und 211 weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Anschlages war er 21 Jahre alt.

Kurz nach dem Anschlag fand die Polizei am Tatort den Personalausweis Köhlers. Ein Abgleich seiner Personalien mit dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS am nächsten Morgen ergab, dass Köhler Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann war. Laut NADIS und dem bei Karl-Heinz Hoffmann 1977 sichergestellten Material gab es zwischen Köhler und Hoffmann 1976 einen Briefwechsel, in dem es darum ging, unter anderem in Donaueschingen eine Ortsgruppe der WSG aufzubauen. Die Informationen aus NADIS ergaben ferner, dass Köhler 1977 und 1979 in der WSG-Kartei als aktiver Anhänger erfasst wurde. Laut einer Notiz von Hoffmann auf der Kartei von 1979 hatte Köhler an zwei Übungen teilgenommen. Hoffmann empfahl Axel Heinzmann, Köhler beim Aufbau einer Wehrsportgruppe zu unterstützen.[3]

Am Abend des Folgetages des Anschlags wurden durch eine Indiskretion der Ermittlungsbehörden der Name und die Verbindung Köhlers mit der im Januar 1980 verbotenen rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann unter Berufung auf Informationen der Illustrierten Quick bundesweit öffentlich bekannt. Die Verbindungen Köhlers zur rechtsextremen Szene wurden seitens der Ermittler – möglicherweise auf politischen Druck der bayerischen Staatsregierung – nur halbherzig durchleuchtet. Köhler wird im Schlussbericht des Landeskriminalamtes als sozial isolierter Einzeltäter, der die Bombe allein gebaut, transportiert und gezündet haben soll, beschrieben und somit allein für den Anschlag verantwortlich gemacht.[5]

Die These des isolierten Einzeltäters Köhler wird bis heute angezweifelt. So hatte Köhler in der Zeit des Bombenbaus einen Ferienjob, dessen Einkünfte er zum Teil in einen Bausparvertrag investierte, gab eine Anzeige auf und schloss sich einer Rockband an. Auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, das durch Informanten gut über die Ermittlungen informiert war, ging – zum Beispiel auf Grund der komplizierten Konstruktionsweise der Bombe – von der Beteiligung weiterer Personen aus.[6] Nach Recherchen des Journalisten Tobias von Heymann hatte Köhler erwiesenermaßen Kontakte zu seinerzeit führenden Rechtsextremisten und Neonazis und war vor dem Anschlag schon etwa fünf Jahre lang in rechtsextremen Kreisen aktiv.[7]

Als mögliches Motiv nennt das Nachrichtenmagazin Spiegel Online eine beabsichtigte Unterstützung der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß: Nach dem Anschlag „könnte man es den Linken in die Schuhe schieben, dann wird der Strauß gewählt“, soll Köhler in Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl geäußert haben.[8]

Die Ermittlungsbehörden hielten „seit drei Jahrzehnten hartnäckig“ an der These des Einzeltäters fest (Süddeutsche Zeitung).[9] Die 28 Ordner mit 887 Spuren und rund 10.000 Seiten zum Oktoberfestattentat hatte das Bayerische Landeskriminalamt bis Mitte 2014 unter Verschluss gehalten.[10] Der Rechtsanwalt Werner Dietrich, der sich mit Auftrag mehrerer Opfer für eine Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens einsetzte, scheiterte 1984 und 2008 mit zwei Wiederaufnahmegesuchen. Asservate, wie ein Stück einer beim Anschlag abgerissenen Hand, das keinem Opfer zugeordnet werden konnte und bei der DNA-Tests hier möglicherweise Aufschluss geben könnten, wurden bereits 1997 vernichtet. Ein Ex-Ermittler nannte dieses Vorgehen mit Blick auf die heutigen technischen Möglichkeiten „sehr ärgerlich“. Anwalt Dietrich meint dazu: „Bei der Aufklärung des RAF-Terrorismus hätte es eine solche Panne, wenn es denn überhaupt eine war, niemals gegeben.“[11]

Literatur

  • Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Ein Attentat. Luchterhand Literaturverlag, 1985, ISBN 3-472-88022-8.
  • Ulrich Chaussy: Oktoberfest – Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann. Ch. Links Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86153-757-1.
  • Tobias von Heymann: Die Oktoberfest-Bombe: München, 26. September 1980 – die Tat eines Einzelnen oder ein Terror-Anschlag mit politischem Hintergrund? NoRa, Berlin 2008, ISBN 978-3-86557-171-7.
  • Unterkapitel Die WSG und das Oktoberfestattentat. In: Rainer Fromm: Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“: Darstellung, Analyse und Einordnung. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen und europäischen Rechtsextremismus. Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main u. a. 1998, ISBN 3-631-32922-9, S. 336–342 (zugleich: Dissertation Universität Frankfurt (Main), 1997).

Einzelnachweise

  1. Oktoberfest-Attentat – Neue brisante Spur aufgetaucht. Süddeutsche Zeitung, 28. September 2014, Abruf 23. Februar 2019
  2. Oktoberfest-Attentat – Generalbundesanwalt nimmt Ermittlungen wieder auf. Spiegel Online, 11. Dezember 2014, Abruf 23. Februar 2019
  3. a b Im rechten Netz. In: Der Spiegel. Nr. 43, 2011 (online).
  4. Mit Dumdum aus der Schußlinie. In: Der Spiegel. Nr. 41, 1980 (online).
  5. Attentate: Unentwirrbares Dickicht. In: Der Spiegel. Nr. 38, 1985 (online).
  6. Die Oktoberfest-Bombe. 3sat, 16. September 2009.
  7. Reinhard Jellen: Das Oktoberfestattentat war kein Werk eines Einzeltäters – Interview mit Tobias von Heymann über sein Buch „Die Oktoberfest-Bombe – die Tat eines Einzelnen oder ein Terror-Anschlag mit politischem Hintergrund?“ – Teil 1. In: Heise Online, 26. Juli 2010.
  8. Anschlag aufs Münchner Oktoberfest – Täter war in Neonazi-Szene verstrickt. In: Spiegel Online, 23. Oktober 2011.
  9. Christian Rost, Frank Müller: Neue brisante Spur aufgetaucht. Süddeutsche Zeitung, 28. September 2014, Abruf 23. Februar 2019
  10. Florian Fuchs: Die Brisanz von Spur 253. Süddeutsche Zeitung, 3. Juni 2014, Abruf 23. Februar 2019
  11. Tobias Lill: Oktoberfest-Attentat – Die vergessenen Spuren. Spiegel Online, 26. September 2014, Abruf 23. Februar 2019