Essentielle Aminosäure

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Eine Aminosäure, die ein Organismus benötigt, aber selbst nicht aufbauen kann, wird als eine für ihn essentielle Aminosäure bezeichnet.

Autotrophe Organismen wie Pflanzen sind in der Regel fähig, alle benötigten Aminosäuren aufzubauen. Heterotrophe Organismen hingegen brauchen oft mehrere bestimmte Aminosäuren als Bestandteil der Nahrung, um auf Dauer zu überleben; dabei kann ein Organismus in verschiedenen Entwicklungsstadien unterschiedliche Anforderungen haben.

Beim Menschen

Für den Menschen gelten Isoleucin (Ile), Leucin (Leu), Lysin (Lys), Methionin (Met), Phenylalanin (Phe), Threonin (Thr), Tryptophan (Trp) und Valin (Val) als essentielle Aminosäuren.[1] Es ist unklar, ob Histidin (His) bei Erwachsenen zu den essentiellen Aminosäuren zu zählen ist. Für Säuglinge ist Histidin essentiell. Neben den essentiellen Aminosäuren gibt es noch die semi-essentiellen Aminosäuren. Das sind solche, die aus anderen Aminosäuren synthetisiert werden können, z. B. Tyrosin (Tyr) und Cystein (Cys). Unter bestimmten Bedingungen, z. B. bei unzureichender Zufuhr der Vorstufen, bei Mangel an bestimmten Vitaminen, in Stresssituationen, bei Leber- und Nierenerkrankungen sowie bei eingeschränkter Enzymfunktion, kann jedoch auch bei ihnen ein Zufuhrbedarf bestehen.[2][3]

Essentiell Semi-essentiell[4][5] Nicht-essentiell
Histidin (H) (nur für Säuglinge) Arginin (R) Alanin (A)
Isoleucin (I) Cystein (C) Asparaginsäure (D)
Leucin (L) Glutamin (Q) Asparagin (N)
Lysin (K) Glycin (G) Glutaminsäure (E)
Methionin (M) Prolin (P) Serin (S)
Phenylalanin (F) Tyrosin (Y) Selenocystein (U)
Threonin (T) Pyrrolysin* (O)
Tryptophan (W)
Valin (V)

(*) Pyrrolysin, manchmal als "22. Aminosäure" bezeichnet, wird vom menschlichen Körper nicht verwertet.[6]

Bei bestimmten Stoffwechselerkrankungen können auch andere als die oben angeführten Aminosäuren essentiell werden. Beim Vorliegen einer Phenylketonurie (PKU) beispielsweise findet die normale Umwandlung von Phenylalanin in Tyrosin nicht statt, weshalb in diesem Fall auch Tyrosin zu einer essentiellen Aminosäure wird. In solchen Fällen wird von semi-essentiellen Aminosäuren gesprochen. Weitere Beispiele sind Arginin, Cystein und Glycin.

Die Abgrenzung zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Aminosäuren ist weiterhin unscharf, da der menschliche Körper einige Aminosäuren in andere umwandeln kann: Die Schwefel enthaltenden Aminosäuren Methionin und Homocystein sind ineinander umwandelbar, der Mensch kann aber keine der beiden herstellen; weiterhin kann Cystein aus Homocystein hergestellt werden. Die Schwefel enthaltenden Aminosäuren bilden somit innerhalb des menschlichen Stoffwechsels eine eigene Untergruppe. Eine weitere Untergruppe bilden Arginin, Ornithin und Citrullin, die mittels des Harnstoffzyklus ineinander umgewandelt werden können.

Aminosäuren in der Nahrung

Jeder Organismus benötigt Aminosäuren zum Aufbau von Proteinen und die jeweils essentiellen in ausreichender Menge. Im Gehalt an Aminosäuren bestehen Unterschiede zwischen einzelnen Nahrungsmitteln, die durch deren komplexe Zusammenstellung bei einer abwechslungsreichen Ernährung ausgeglichen werden. Einen Anhalt für die biologische Wertigkeit von Lebensmitteln hinsichtlich der Aminosäurenanteile gibt der Aminosäureindex (PDCAAS). Nicht zum Proteinaufbau genutzte Aminosäuren können desaminiert und zu Fetten und Kohlehydraten verstoffwechselt werden. Eine ausgeglichene Zusammensetzung der zugeführten Aminosäuren ermöglicht eine hohe Ausschöpfung des Nahrungsproteins für den Aufbau körpereigener Proteine (Proteinutilisation); für den Mindestproteinbedarf entscheidend ist hierbei der Gehalt an der mit relativ geringster Menge vorliegenden essentiellen Aminosäure (limitierende Aminosäure). Zu einer Mangelversorgung mit essentiellen Aminosäuren kommt es bei einer anhaltend sehr eiweißarmen Ernährung (siehe Kwashiorkor). Es gibt Hinweise, dass manche Säugetiere einen Mangel an essentiellen Aminosäuren bei einseitiger Ernährung schon nach kurzer Zeit erkennen können.[7]

Vegetarismus

Alle für Menschen essentiellen Aminosäuren kommen in Pflanzen vor; daher kann eine geeignete Kombination vegetarischer oder veganer Produkte den Menschen ausreichend mit Aminosäuren versorgen.[8][9] Bezogen auf die Aminosäureversorgung kann die Qualität der vegetarischen Ernährungsweise des Menschen durch geeignete Kombination (etwa Hülsenfrüchte und Getreideprodukte) gesteigert werden.

Medizin und Sport

Die Aminosäuren Valin, Leucin und Isoleucin werden als verzweigtkettige Aminosäuren (englisch branched-chain amino acids, abgekürzt: BCAA) bezeichnet.[10] Sie kommen in allen proteinhaltigen Nahrungsmitteln vor und werden in der Intensivmedizin und Geriatrie eingesetzt. Im Kraftsport und in Ausdauersportarten werden sie als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt.[11][10]

Empfohlene Tagesdosis

In der folgenden Tabelle sind die derzeit von der WHO empfohlenen Tagesmengen an essentiellen Aminosäuren für Erwachsene aufgeführt.

Für Erwachsene empfohlene Zufuhr laut WHO[12]
Aminosäure Nahrungsmenge
in mg pro kg Körpergewicht pro Tag
Histidin 10
Isoleucin 20
Leucin 39
Lysin 30
Methionin + Cystein 15
Phenylalanin + Tyrosin 25
Threonin 15
Tryptophan 04
Valin 26

Die empfohlene Tageszufuhr für Kinder über drei Jahren liegt 10 bis 20 % über der von Erwachsenen, für Säuglinge im ersten Lebensjahr bis zu 150 %. Cystein (oder schwefelhaltige Aminosäuren), Tyrosin (oder aromatische Aminosäuren) und Arginin werden von Säuglingen und heranwachsenden Kindern immer benötigt.[12][13] Methionin und Cystein werden in einer Gruppe zusammengefasst, da das eine aus dem anderen mit Hilfe des Enzyms Methionin-S-Methyltransferase und des Katalysators Methioninsynthase synthetisiert werden kann.[14] Phenylalanin und Tyrosin sind in einer Gruppe zusammengefasst, weil das eine aus dem anderen mit Hilfe des Enzyms Phenylalanin/Tyrosin-Ammoniak-Lyase synthetisiert werden kann.[15]

Mangelerscheinungen

Steht eine der essentiellen Aminosäuren nicht in der erforderlichen Menge zur Verfügung, wird die Proteinsynthese gehemmt, unabhängig von der Verfügbarkeit der anderen Aminosäuren.[16] Ein Eiweißmangel wirkt sich nachweislich auf alle Organe und viele Systeme des Körpers aus, z. B. beeinträchtigt er die Gehirnentwicklung bei Säuglingen und Kleinkindern, hemmt die Aufrechterhaltung des Immunsystems und erhöht das Infektionsrisiko, beeinträchtigt die Funktion und Durchlässigkeit der Darmschleimhaut, was zu einer verminderten Resorption und einer erhöhten Anfälligkeit für systemische Erkrankungen führt, und beeinträchtigt die Nierenfunktion.[16] Die Verdauungsenzyme Trypsin und Chymotrypsin können nur in Gegenwart von L-Lysin gebildet werden. Die Eiweißverdauung leidet daher unter einem Mangel.[3] Eine unausgewogene Ernährung, z. B. zu wenig Gemüse oder keine tierischen Produkte, führt zu einer verminderten Zufuhr bestimmter essentieller Aminosäuren und damit auch zu Mangelerscheinungen und deren Folgen:[17]

  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit
  • nervöse Gereiztheit, Konzentrationsstörungen
  • Wachstumsstörungen bei Säuglingen und Kindern
  • Muskelschwäche
  • fahle Haut
  • dünnes und brüchiges Haar
  • schlecht heilende Wunden
  • Bindegewebeschwäche

Zu den biochemischen Veränderungen, die einen Eiweißmangel widerspiegeln, gehören niedrige Serumwerte von Albumin und Transferrin.[16]

Siehe auch

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Als Merkhilfe für die genannten acht essentiellen Aminosäuren kann der Satz: „Leider fehlen wichtige Moleküle im Körper vieler Tiere“ dienen, bei dem die Anfangsbuchstaben L F W M I K V T der Wörter die Einbuchstabencodes der Aminosäuren Leu (L) Phe (F) Trp (W) Met (M) Ile (I) Lys (K) Val (V) Thr (T) angeben.
  2. Werner Baltes, Reinhard Matissek: Lebensmittelchemie (= Springer-Lehrbuch). Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-16538-2, doi:10.1007/978-3-642-16539-9 (springer.com [abgerufen am 2. Mai 2023]).
  3. a b Henrike März: Aminosäuren und deren Bedeutung für die Gesundheit. In: Zeitschrift für Orthomolekulare Medizin. Band 18, Nr. 03, Oktober 2020, ISSN 1611-5562, S. 17–21, doi:10.1055/a-1251-6013 (thieme-connect.de [abgerufen am 2. Mai 2023]).
  4. Fürst P, Stehle P: What are the essential elements needed for the determination of amino acid requirements in humans? In: Journal of Nutrition. 134. Jahrgang, 6 Suppl, 1. Juni 2004, S. 1558S–1565S, doi:10.1093/jn/134.6.1558S, PMID 15173430 (englisch).
  5. Reeds PJ: Dispensable and indispensable amino acids for humans. In: J. Nutr. 130. Jahrgang, Nr. 7, 1. Juli 2000, S. 1835S–40S, doi:10.1093/jn/130.7.1835S, PMID 10867060 (englisch).
  6. Richard Cammack: Newsletter 2009, Biochemical Nomenclature Committee of IUPAC and NC-IUBMB. Archiviert vom Original am 12. September 2017; abgerufen am 16. Juli 2012 (englisch).
  7. Defizitwarnung im Gehirn. In: wissenschaft.de. 18. März 2005, abgerufen am 8. September 2019 („[W]ie Nagetiere innerhalb von 20 Minuten einen Aminosäuremangel bemerken und so ihre Nahrungsaufnahme entsprechend anpassen können.“).
  8. J. McDougall Plant foods have a complete amino acid composition. In: Circulation. 2002;105(25):e197.
  9. François Mariotti, Christopher D. Gardner: Dietary Protein and Amino Acids in Vegetarian Diets—A Review. In: Nutrients. 2019, doi:10.3390/nu11112661 (mdpi.com).
  10. a b Hilmar Buchardi e.a. (Hrsg.): Die Intensivmedizin. 9. Auflage. Springer, Berlin/ Heidelberg 2004, ISBN 3-540-00882-9, S. 240 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – „Keiner anderen Gruppe von Aminosäuren ist in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit gewidmet worden wie den verzweigtkettigen Aminosäuren Valin, Leuzin und Isoleuzin.“).
  11. Hans-Konrad Biesalski e.a. (Hrsg.): Ernährungsmedizin. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart 2004, ISBN 3-13-100293-X, S. 234–235 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  12. a b Protein and amino acid requirements in human nutrition : report of a joint WHO/FAO/UNU expert consultation. Geneva 2007, ISBN 978-92-4120935-9, S. 150 (who.int [abgerufen am 2. Mai 2023]).
  13. Imura K, Okada A: Amino acid metabolism in pediatric patients. In: Nutrition. 14. Jahrgang, Nr. 1, 1998, S. 143–8, doi:10.1016/S0899-9007(97)00230-X, PMID 9437700 (englisch).
  14. Methionine and Cysteine metabolism. National Center for Biotechnology Information PubChem, 18. Mai 2022, abgerufen am 21. September 2022 (englisch).
  15. Phenylalanine and Tyrosine Metabolism. National Center for Biotechnology Information PubChem, 18. Mai 2022, abgerufen am 21. September 2022 (englisch).
  16. a b c Institute of Medicine: Dietary Reference Intakes: The Essential Guide to Nutrient Requirements. 2006, ISBN 978-0-309-15742-1, doi:10.17226/11537 (nationalacademies.org [abgerufen am 2. Mai 2023]).
  17. Christian Löser, Jann Arends: Unter- und Mangelernährung Klinik - moderne Therapiestrategien - Budgetrelevanz ; 81 Tabellen. 1. Auflage. Stuttgart 2011, ISBN 978-3-13-154101-7.