Heeresversuchsanstalt Kummersdorf

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Kühlanlagensystem in der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf
Ortsschild Bahnhofsgebäude, alte Bezeichnung Schießplatz
Halle für den Panzerkampfwagen VIII Maus auf dem Gelände der Neuen Verskraft, Heeresversuchsstelle Kummersdorf 2013

Die Heeresversuchsanstalt Kummersdorf ist eine ehemalige Heeresversuchsanstalt in Kummersdorf-Gut, heute ein Ortsteil der Gemeinde Am Mellensee (Landkreis Teltow-Fläming, Brandenburg).

Das Areal ist etwa 3.200 Hektar groß und beherbergt über 160 historische bauten wie Kasernen, Prüfstände, Hallen, Bunker, Schießstände und verschiedenste sonstige Testanlagen.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–1871) wurde durch die Artillerieprüfungskommission ein Artillerieschießplatz (Schießplatz Kummersdorf), der aus Reparationszahlungen finanziert wurde, im Kummersdorfer Forst errichtet.[1] Ein großer Teil des unbesiedelten Geländes war bereits preußischer Staatsbesitz. Das Gelände war groß genug für Schießstände bis 10 km, war in der Nähe der Hauptstadt und lag durch das Eisenbahnnetz Berlin-Dresden sehr günstig. Die Eröffnung des Bahnbetriebes am 15. Oktober 1875, gilt als Eröffnung des Schießplatzes.

Etliche Rüstungsunternehmen zeigten Interesse daran, Teile des Areals für Erprobungen von Waffen zu nutzen und ihre neusten Erfindungen zu präsentieren.[2]

Die neue Eisenbahnlinie bis Kummersdorf, die bereits 1873 vom Militär als Königlich-Preußische Militäreisenbahn (KME) geplant und in Angriff genommen wurde, führte dazu, dass sich auch die Verwaltungen der Eisenbahntruppen und Eisenbahnpioniertruppen hier mit eigenen Übungs- und Versuchsplätzen niederließen.[2]

Von 1877 bis 1879 agierte der spätere Oberst z. D. Wilhelm Witte als Vorsteher der Versuchsabteilung, einer damaligen Bezeichnung von Schießplatz Kummersdorf. Witte war ein führender Artillerie-Offizier, später Lehrer an der Kriegsakademie und Militärschriftsteller.[3]

Erster Weltkrieg

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Im März 1914 beobachtete Kaiser Wilhelm II. dort eine Dicke Bertha in Aktion.

Im Ersten Weltkrieg war die Entwicklung und Erprobung neuer, leistungsfähigerer Waffen, Munition, Pulver- und Sprengstoffarten notwendig, um dem Stellungskrieg entgegenwirken zu können. Ebenfalls wurden etliche Tränengase entwickelt und getestet. Die Analyse von Beutewaffen war ebenfalls Bestandteil der Arbeiten.

Bei Kriegsende 1918 war Kummersdorf bereits der zentrale Versuchs- und Erprobungsplatz des Heeres für neue Waffen, Munition, Fahrzeuge, Geräte und Ausrüstung geworden, was auch schon Fotografie, Wetterdienst, Schall- und Lichtmesswesen beinhaltete.[2]

Weimarer Republik

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Nach Ende des Ersten Weltkriegs war durch die im Versailler Vertrag festgelegten Bedingungen die Weiterführung der Waffenentwicklung und -erprobung verboten worden. Kummersdorf unterstand zuvor als Versuchsabteilung d unter Leitung des späteren Generalmajors Trenkmann, damals Oberstleutnant, der Artillerie-Prüfungskommission Berlin, Präses Generalleutnant Ludwig Sieger, der bald darauf in Pension ging. Chef vom Schießplatz war ein Hauptmann Kunze, der Mitarbeiterstab umfasste acht Leutnants, ein Arzt und ein Zahlmeister.[4] Im Jahre 1921 wurden die Bestimmungen des Versailler Vertrag schon gebrochen, als das Truppenamt die geheime Aufrüstung und die Entwicklung neuer Waffen anordnete, die in Kummersdorf entwickelt und gebaut wurden. Infolge der Aufrüstung wurden Meilensteine bei der Entwicklung von Raketentechnik (sowohl auf der Basis von Feststoffen als auch Flüssigkeitstreibstoffe) erreicht.[2]

In Kummersdorf waren zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Wissenschaftler tätig, die bereits im Ersten Weltkrieg in der Waffenforschung gearbeitet hatten. Gegen Ende der Weimarer Republik war die Aufrüstung in Kummersdorf öffentlich bekannt.[5] 1926, zeitweise zum Schießplatz Jüterbog angegliedert, war ein Major von Saldern Standortkommandant,[6] es folgte danach u. a. Paul von Hase.

Anschlussbahn zum Flughafen Sperenberg auf dem Areal der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf

Nationalsozialismus

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Nach der Machtergreifung 1933 wurde massiv in den Ausbau von Kummersdorf investiert. Fast alle Abteilungen der Amtsgruppe Prüfwesen des Heereswaffenamtes hatten eine eigenständige Forschungseinrichtung auf dem Areal in Kummersdorf.

Adolf Hitler hielt sich ab 1933 mit seinem engsten Kreis oft in Kummersdorf auf um verschiedene Waffenvorführungen zu begutachten. Ende 1933 wurde die Forschungsabteilung der HWA in drei Versuchstellen unterteilt, der Vers. Ost, Vers. Gottow, Vers. N.[7][8] Auch befand sich dort die Kraftfahrversuchsstelle (Verskraft) des Heeres.[2]

Nach dem Scheitern des Blitzkrieges im Osten, wurde gehofft, dass die hier neue Waffentechnik doch noch entscheidend zum Sieg beitragen würde. Unter anderem entwickelte Wernher von Braun – bis zur Verlegung nach Peenemünde 1936 – die Flüssigkeitsraketentriebwerke A1 und A2. Aus Platzgründen konnten in Kummersdorf selbst jedoch keine größeren Raketen gestartet werden. Ab 1939 wurde in Kummersdorf auch am Uranprojekt gearbeitet.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs liefen sowjetische Truppen, die von der Existenz Kummersdorfes wusste, in das Areal ein und begannen, den gesamten Militärkomplex genauestens zu inspizieren, noch vorhandene Dokumente sicherzustellen und technische Anlagen zu demontieren.[2]

Prüfstand in der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf

Der Gesamte Komplex wurde Standort der sowjetischen Streitkräfte. Auf einem Teil des Areals errichtete die DDR 1958 den Flugplatz Sperenberg für die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte. Der letzte Oberbefehlshaber, Matwej Burlakow, verließ 1994 als letzter russischer Soldat deutschen Boden.

Nach dem Abzug der Russen, begannen umfangreiche Entsorgungsarbeiten, teilweise auch Sicherungsarbeiten. Seit Juni 2007 steht das Gelände der Heereswaffenversuchsanstalt unter Denkmalschutz. Hier befindet sich heute das Historisch-Technische Museum Kummersdorf.[9]

Dadurch, dass das Gelände über 100 Jahre für militärische Zwecke genutzt wurde, besteht ein generelles Betretungsverbot, welches vom Eigentümer des Grundstücks, dem Land Brandenburg erteilt wurde.[10]

Auf dem gesamten Gelände bestehen potentiell lebensgefährliche Risiken durch Munitions- und Explosivstoffe jeglicher Art, Chemikalien, Benzin, Öle sowie durch Mängel in der Beschaffenheit der Anlagen, Fahrbahnen, Wege und des Bodens an sich. Durch diese Risiken muss bei jeder gebuchten Führung, welche vom Historisch-Technische Museum Kummersdorf betreut wird, eine Haftungsverzichtserklärung unterschrieben werden.[11]

Das Land Brandenburg hat im Jahr 2021 die Heeresversuchsanstalt Kummersdorf mit zwei anderen Vorschlägen für die Aufnahme des Areals zum UNESCO-Welterbe eingereicht.[1]

  • Philipp Aumann: Rüstung auf dem Prüfstand. Kummersdorf, Peenemünde und die totale Mobilmachung. Hrsg.: Historisch-Technisches Museum Peenemünde. Ch. Links, Berlin 2015, ISBN 978-3-86153-864-6.
  • Wolfgang Fleischer: Die Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Band 1: Maus, Tiger, Panther, Luchs, Raketen und andere Waffen der Wehrmacht bei der Erprobung. 1. Auflage 1999, 2. Auflage, Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2006, ISBN 3-89555-408-1.
  • Georg Frank: Die Heeresversuchsstelle in Kummersdorf-Gut – ein wenig bekannter Ort der europäischen Militärgeschichte, In: Konversionen. Denkmal – Werte – Wandel, Hrsg. Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 2012, S. 103–108.
  • Gerhard Kaiser, Bernd Herrmann: Vom Sperrgebiet zur Waldstadt. Die Geschichte der geheimen Kommandozentralen in Wünsdorf und Umgebung. 4., akt. u. erw. Auflage. Ch. Links, Berlin 2007, ISBN 978-3-86153-434-1.
  • Susanne Köstering: Der Krieg und seine Technik. Die ehemalige Heeresversuchsanstalt Kummersdorf als Museum?, In: Militärgeschichte im Museum. Museumsblätter, Heft 16, Juli 2010, Hrsg. Museumsverband Brandenburg, Potsdam 2010, S. 28–33.
  • Markus Pöhlmann, Christian Bauermeister, Evelyn Sommerer: Die Heeresversuchsstelle Kummersdorf. Schießplatz – Geheimer Ort – Denkmal. FMVK e. V./ Museumsverband des Landes Brandenburg e. V., Kummersdorf/Potsdam 2014.
Commons: Heeresversuchsanstalt Kummersdorf-Gut – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. a b Heeresversuchsstelle Kummersdorf-Gut soll UNESCO-Welterbe werden - Baruther Urstromtal. Abgerufen am 15. Juni 2024.
  2. a b c d e f „Militärkomplex Kummersdorf“. 25. Januar 2016, abgerufen am 15. Juni 2024.
  3. Richard Wrede, Hans von Reinfels (Hrsg.): Das Geistige Berlin. Eine Encyklopädie des geistigen Lebens Berlins, Erster Band, Verlag Hugo Storm, Berlin 1897, S. 580 f.
  4. Deutscher-Offiziers-Bund: Ehren-Rangliste des ehemaligen Deutsches Heeres auf Grund der Ranglisten von 1914 mit den inzwischen eingetretenen Veränderungen, E. S. Mittler & Sohn, Berlin Dezember 1926, S. 561.
  5. Vgl. Reichswehrministerium (Heeres-Personalamt): Rangliste des Deutschen Reichsheeres. Nach dem Stande vom 1. Mai 1931, E. S. Mittler & Sohn, Berlin 1931, S. 25.
  6. Politischer Almanach 1926, K. F. Koehler, Leipzig 1926, S. 105.
  7. Rainer Karlsch, Heiko Petermann: Für und Wider „Hitlers Bombe“. Studien zur Atomforschung, 1. Auflage, Verlag Felicitas Hübner, Lehrte b. Hannover 2007, S. 239. ff. 2. Auflage, In: Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Band 29, Waxmann, Münster/New York/München/Berlin 2007, ISBN 3-8309-1893-3.
  8. Vgl. Christian Kleint (Hrsg.): Werner Heisenberg 1901-1976. Beiträge, Berichte, Briefe; Festschrift zu seinem 100. Geburtstag, Aufsatzsammlung der Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Hirzel, Stuttgart 2005, S. 195 f.
  9. Historisch-technisches Museum Versuchsstelle Kummersdorf. Abgerufen am 11. Juni 2024.
  10. Interessengemeinschaft Kummersdorf & Sperenberg. Abgerufen am 6. Juni 2024 (deutsch).
  11. Haftungsverzichtserklärung. Förderverein Museum Kummersdorf e. V., abgerufen am 6. Juni 2024.

Koordinaten: 52° 5′ 45″ N, 13° 21′ 15″ O